21.06.2017

Die Umverteiler klären auf: Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen zu „Hartz IV“ u.a.

Das „Existenzminimum“ ist zurzeit mehr Minimum als Existenz. Die steuerfinanzierten Leistungen wie Sozialhilfe, Sozialgeld, Arbeitslosengeld II sollten mehr als nur das physische Überleben sichern. Gerade in sozialkultureller Hinsicht sind sie kaum erträglich. Darüber hinaus wäre es ihre zentrale Aufgabe, gesellschaftliche Spaltung zu verhindern, anstatt Lohndumping zu subventionieren. In einer reichen und solidarischen Gesellschaft wäre es (eigentlich) ein Leichtes, Alle in allen Lebenslagen „mitzunehmen“ statt zu entkoppeln. Dazu bedarf es jedoch des politischen Willens, der den erarbeiteten Reichtum so nutzt, dass auch Alle davon profitieren.

Von: Kurt Nikolaus
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In Deutschland beziehen rund 8 Millionen Menschen Leistungen der Grundsicherung – in unterschiedlicher Form (nach SGB II, SGB XII oder Asylbewerberleistungsgesetz) und aus verschiedenen Gründen (Arbeitsuchende, Erwerbsgeminderte, Altersrentner*innen, aber auch viele Erwerbstätige auf Grund zu niedriger Löhne). Sie alle sind zum Lebensunterhalt auf eine steuerfinanzierte Sozialleistung angewiesen.

Doch diese Leistungen (Regelbedarfe) werden – trotz „Statistikmodell“ – nicht methodisch sauber und mathematisch transparent berechnet, sondern willkürlich manipuliert und nach politischen Vorgaben minimiert. So können sie weder zuverlässig ein Abrutschen in Armut verhindern (sondern sind eher „Armut per Gesetz“), noch gesellschaftliche Teilhabe gewährleisten. Die Betroffenen fühlen sich nicht nur abgehängt, sie sind es auch: Ihr Abstand zur Mitte der Gesellschaft wächst weiter.

Existenzminimum garantieren – Regelsätze Fair, stringent und Transparent bemessen!

Die Grundsicherung soll sich eigentlich aus dem tatsächlichen (notwendigen) Verbrauch der unteren Einkommensschichten ergeben, wie er statistisch in der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) erfasst wird. Was als „untere“ Bezugsgruppe zählt, wird jedoch festgelegt, wie es gerade passt (mal 20, mal 15 Prozent), Zirkelschlüsse werden nicht konsequent vermieden, und manche Ausgaben werden ersatzlos gestrichen – nicht nur Alkohol und Zigaretten, sondern auch Blumen, Grabschmuck und Weihnachtsbaum. So kommt man zu künstlichen Regelsätzen zwischen 237 und 409 Euro pro Person, je nach Alter und Familienstand.

Damit wird der Bedarf der Armen durch den Verbrauch der Armen normiert und herunter gerechnet; trotzdem summiert sich das alleine in der Grundsicherung für Arbeitsuchende („Hartz IV“) auf monatlich etwa 3 Milliarden Euro, wovon der Löwenanteil aus der Einkommenssteuer von „Normalverdienern“ stammt. Eine gerechte und menschenwürdige Grundsicherung kann daher nicht anders als durch Mobilisierung des vorhandenen Reichtums und dessen Umverteilung finanziert werden – und zwar von Oben in die Mitte und nach Unten.

Wenn die Regelsätze der diversen Grundsicherungsleistungen in seriöser Weise auf ein menschenwürdiges Niveau erhöht werden, müssten sie zwischen 253 und bis zu 560 Euro liegen – mit Gegenfinanzierung durch Steuergerechtigkeit!

Dabei geht es nicht darum, willkürlich niedrige durch willkürlich hohe Regelsätze zu konterkarieren, sondern ausgehend von expliziten politischen Normsetzungen „sauber“ zu rechnen. Ein flexibles und doch stringentes Modell, wie das zu bewerkstelligen wäre, haben die Verteilungsforscherinnen Becker & Tobsch im Auftrag der Diakonie präsentiert:

 

  • Steuerfinanzierte Sozialleistungen dürfen nicht klammheimlich kleingerechnet werden, vielmehr sind sie empirisch zu ermitteln, nachvollziehbar zu begründen und politisch offen zu diskutieren;
  • insbesondere muss in die Grundsicherung eine Rechenregel eingesetzt werden, die den Abstand zur gesellschaftlichen Mitte nach unten begrenzt;
  • und das kommt als erhöhter Steuerfreibetrag letzten Endes auch allen „Normalverdiener*innen“ zugute.

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