24.07.2017

Die Umverteiler klären auf: Bundesverband Netzwerke von Migrantenorganisationen fordert gleichberechtigte Teilhabe für alle

Jeder fünfte Mensch in Deutschland hat einen sogenannten Migrationshintergrund. Noch nie war die Zahl so hoch. Mehrere Städte werden 2017 als superdivers bezeichnet, weil es nur noch eine Mehrheit von Minderheiten gibt; 67% dieser Stadtbevölkerung haben dann einen Migrationshintergrund. Doch Zugänge zu Bildung, zum Arbeits- und Wohnungsmarkt bleiben erschwert, wenn man einen "anderen" Namen, oder eine "sichtbare" Migrationsgeschichte hat. Fremdenhass und Rechtspopulismus nehmen zu. Wir müssen neue Narrative in die Köpfe und Herzen aller bringen, damit Schluss ist mit den ausgrenzenden Mechanismen.

Von: Josefine Jochum
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Die Armutsgefährdungsquote von Menschen mit Migrationshintergrund liegt im Vergleich immer noch deutlich über der von Personen ohne Migrationshintergrund. Geringe Qualifikation und Arbeitsmarktbeteiligung erklären das Phänomen jedoch ungenügend. Strukturelle und institutionelle Diskriminierung sind oftmals Gründe für die höhere Armutsgefährdung. 

Für eine offene und moderne Einwanderungsgesellschaft ist daher die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit eigener oder mit familiärer Migrationsgeschichte unverzichtbar. Mehr als 440 Migrantenorganisationen haben sich in elf Städten zu herkunfts- und kulturübergreifenden sowie säkularen Verbünden zusammengeschlossen. Ziel und Aufgabe des Bundesverbands Netzwerke von Migrantenorganisationen (NeMO) ist es, diese Verbünde auf kommunaler Ebene in ihrem Engagement um Teilhabe und Mitsprache zu stärken und ihre lokalen Erfahrungen zu Integration und Teilhabe in den politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsprozess einzubringen.

Die „Mehrheitsgesellschaft ohne Mehrheiten“ muss sich neu erfinden

Deutschland hat den Übergang zur Einwanderungsgesellschaft in weiten Teilen rhetorisch vollzogen und doch erscheint es noch als ein langer Weg, diesen auch tatsächlich zu leben. Eine scheinbar unübersichtliche Vielfalt an Lebensentwürfen existiert, deren kulturelle Identität nicht auf dem Entweder-Oder-Prinzip beruht, sondern sich im Zusammenspiel unterschiedlicher Wertvorstellungen und kultureller Prägungen findet. Die „Mehrheitsgesellschaft ohne Mehrheiten“ muss sich neu erfinden, Diversität gehört vorwärtsgerichtet diskutiert und Zukunftsmodelle eines „Zusammenhalts von Verschiedenen“ müssen entwickelt werden.

Um ein besseres und gerechtes Land für alle die hier leben zu schaffen, muss Macht abgegeben und gerecht verteilt, faire Teilhabe garantiert und ein Umdenken nicht nur versprochen werden. Vielfalt und Teilhabe als Grundüberzeugungen müssen sichtbar gelebt werden.

Es liegt an uns allen, ob wir dieses neue, diverse Selbstverständnis als gemeinsame demokratische Entwicklung begreifen oder als einen alten Verteilungskampf weiterführen.

Integrationspolitik muss sich auch an Mehrheitsbevölkerung richten

Das mittlerweile bekannte Zauberwort zur Teilhabe heißt „Interkulturelle Öffnung“ und schließt die Sanktionierung von Rassismus und Diskriminierung ein. Besonders in Zeiten, wie unserer heutigen, in der rechtspopulistische Einstellungen immer häufiger offen gelebt werden, muss die Politik endlich stärker eingreifen! Eine Ausweitung des Antidiskriminierungsgesetzes ist hierbei ebenso von Bedeutung wie die Verankerung von gleichberechtigter Teilhabe und Chancengerechtigkeit aller Menschen hier. Eine Integrationspolitik, die sich nur auf Migrantinnen und Migranten konzentriert, ist nicht mehr zeitgemäß. Sie muss sich auch an die Mehrheitsbevölkerung richten.

Diskriminierungsfreie Zugänge müssen ausgebaut und Interkulturelle Öffnung als Aufgabe des Staates verbindlich geregelt werden. Daher fordern wir:

  • Wir müssen weg von der Integrationspolitik und hin zur Gesellschaftspolitik, die alle Gruppen gleichwertig einbezieht. Gerade auf der kommunalen Ebene müssen hierfür Rahmenbedingungen, Förderungen neu gedacht werden.
  • Gesellschaftliche Vielfalt muss im Ausbildungs- und Arbeitsmarkt konsequenter Bestandteil werden. Wir brauchen dafür neue Standards, Diversity- Education muss z. B. ein Pflichtfach in der Ausbildung für Lehrkräfte werden.
  • Eine Diskussion über Quoten: Gemessen an ihrem Anteil an der Bevölkerung sind Migrant*innen/People of Colour in Entscheidungspositionen deutlich unterrepräsentiert. Daher müssen wir über geregelte Zugänge für sie, ähnlich der „Frauenquote“, nachdenken.

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